Fische voller Überraschungen

Dr. Günther Ettrich

Schlangenkopffische sind interessante und schöne Fische. Sie sind mit etwa 30 Arten über Asien und Afrika verbreitet. Es handelt sich um echte Raubfische, geschickte, langgestreckte Schwimmer mit tiefgespaltenem, dehnbarem und vollbezahntem Maul. Wie schon der Name andeutet, ähnelt ihr Kopf dem einer Schlange mit röhrenförmig verlängerten vorderen Nasenöffnungen, äußeres Merkmal ihres stark ausgeprägten Geruchsinnes. Wie die Labyrinthfische und Hechtköpfe sind sie mit einem zusätzlichen Atmungsorgan ausgerüstet, wodurch sie in der Lage sind, sich wie die Kletterfische über Land zu bewegen. Die meisten Schlangenkopffischarten werden leider so groß, daß sie für die übliche Aquarienhaltung allenfalls als Jungtiere in Frage kommen.

Zumindest eine Art allerdings, Channa orientalis , ist wegen ihrer geringen Größe auch für die Haltung in mittelgroßen Aquarien sehr gut geeignet. Sie soll bis 20 Zentimeter lang werden. Laut Sterba erreicht sie in vielen Bereichen ihres Verbreitungsgebietes, besonders in bergigen Regionen, nur eine Länge von 10 bis 15 Zentimetern. Ich konnte im Januar 1986 auf der südthailändischen Insel Phuket mehr als 30 Ch. orientalis 1 fangen. Das größte der Tiere, ein Männchen in Prachtfärbung, hatte eine Länge von knapp 15 Zentimetern. Meine Wildfänge aus Ceylon, die schon vier Nachzuchten her-vorgebracht haben, sind 13 und 14 Zentimeter lang, Möglicherweise erreicht Ch. orientalis im Aquarium sogar größere Längen als in freier Natur, wie das ja beispielsweise auch bei Ostafrika-Cichliden bekannt ist. Ich habe jedenfalls in der Natur immer nur «halbwüchsige» Fische erbeutet.

Geprägt wurde ich auf Ch. orientalis , als ich im Januar 1982 in einem kleinen Regenwaldgebiet im Süden Ceylons auf der Suche nach Malpulutta kretseri plötzlich einen fingerlangen farbenprächtigen Schlangenkopffisch im Netz hatte. Es gelang mir damals in diesem Gebiet lediglich, drei dieser Fische zu fangen. Dazu kamen aus anderen Gegenden im Süden Sri Lankas noch weitere Tiere. Erst in Deutschland merkte ich, daß ich zwei verschiedene Formen von Ch. orientalis erbeutet hatte, Fische mit und ohne Bauchflossen . 2

Meine besondere Neigung galt von Anfang an der Variante ohne Bauchflossen . Sie blieb kleiner und schlanker, und schon die Jungfische zeigten eine ansprechendere Färbung. Etwa vier Monate nach dem Fang kam es zu einer auffälligen Veränderung im Verhalten des männlichen Fisches ohne Bauchflossen. Er lag versteckt mit angeschwollener Kehle herum und verweigerte jegliche Nahrungsaufnahme. Zu meiner großen Überraschung stellte sich schließlich heraus, daß die Ursache dieses zunächst als Krankheit gedeuteten Zustandes die Tatsache war, daß der Fisch in seinem Maul Eier erbrütete. Mir war also offensichtlich die Aufdeckung einer neuen ichthyologischen Erkenntnis zugefallen, nämlich die bis dahin nicht bekannte Tatsache, daß es maulbrütende Schlangenkopffische gibt.

Jetzt war natürlich von großem Interesse, ob auch die Stammform von Ch. orientalis mit Bauchflossen ihre Eier im Maul erbrütete. Auf einer erneuten Fangreise nach Sri Lanka im Januar 1985 konnte ich in dem Bachsystem jenes Regenwald-Reservates im Süden der Insel, in dem ich bereits 1982 Schlangenkopffische erbeutet hatte, beide Varianten von Ch. orientalis fangen. Die Fische leben also in diesem Gebiet interessanterweise sympatrisch , das heißt, im selben Biotop.

Im Laufe des Sommers 1985 gelang es, auch die Ch. orientalis mit Bauchflossen wiederholt nachzuzüchten. Sie sind ebenfalls Maulbrüter - allerdings mit deutlichen Unterschieden in den Details. Bei der Paarung umschlingen sich beide Varianten nach Art der Labyrinthfische. Dazu bevorzugen sie anscheinend flachere Gewässerbezirke, in denen sie vornehmlich durch Schlagen mit der Schwanzflosse Gruben und Höhlen ausheben. Die Eier werden auf einmal ausgestoßen; sie steigen nach der Befruchtung wegen ihres Ölgehaltes langsam zur Oberfläche und werden dort von dem männlichen Fisch ins Maul aufgenommen.

Die Dauer des Maulbrütens ist bei den beiden Varianten von Ch. orientalis deutlich unterschiedlich. Während die Fische mit Bauchflossen ihre offensichtlich frisch geschlüpften Jungen schon nach drei bis vier Tagen aus dem Maul entlassen, brüten ihre Namensvettern ohne Bauchflossen etwa neun bis zehn Tage lang. Diese Jungfische sind dann auch schon deutlich größer. Aber auch die Nachwuchsmengen sind sehr unterschiedlich. Während die Ch. orientalis mit Bauchflossen wiederholt mehr als 200 Nachkommen erbrüteten, waren die Jungfischzahlen bei den Tieren ohne Bauchflossen signifikant niedriger. Mehr als 40 Jungfische wurden bei insgesamt sieben Nachzuchten bisher im Einzelfall nie erzielt.

Auch die Jungfische zeigen bei den beiden Varianten von Ch. orientalis ein sehr unterschiedliches Verhalten. Der Nachwuchs mit Bauchflossen steigt schon etwa sechs Tage nach seiner Entlassung aus dem Vatermaul nach Art der Labyrinthfische zur zusätzlichen Aufnahme atmosphärischer Luft zur Wasseroberfläche, während seine Vettern ohne Bauchflossen das erst nach zehn bis zwölf Tagen tun. Der große Jungfischschwarm der Stammform bewegt sich bald in einem reizvoll anzusehenden Schwarm durch das Aquarium, wogegen die Jungen der Ch. orientalis ohne Bauchflossen lange Zeit versteckt und in engem Kontakt mit dem Bodengrund bleiben. Ursache für dieses sehr unterschiedliche Jungfischverhalten könnte die Tatsache sein, daß die Variante ohne Bauchflossen ihre Jungen in der Natur in noch stärker strömenden Gewässern aufzieht.

Äußerst interessant, ja beinahe geheimnisvoll sind die Art und Weise der Ernährung und Aufzucht der Jungen durch die Elterntiere. Sie wachsen nämlich zunächst ohne jegfiche zusätzliche Fütterung durch den Pfleger auf. Ich habe versuchsweise Jungfische der Variante ohne Bauchflossen nach ihrem Entlassen aus dem Maul des Vaterfisches fünf Wochen lang nicht gefüttert. Trotzdem gediehen sie prächtig und wuchsen in dieser Zeit auf etwa anderthalb Zentimeter Länge heran. (Zur Information: Ch. orientalis Laichkörner sind relativ klein, kaum größer als etwa Kampffischeier.) Andererseits zeigten Jungfische die ich versuchsweise früh von ihren Eltern trennte, trotz intensivster Fütterungs- und Pflegebemühungen ein erheblich verzögertes Wachstum und hohe Verlustraten. Durch den engen Bodenkontakt der Jungfische drängte sich zunächst die Vermutung auf, daß sie Aufwuchs abweideten. Immer wieder zu beobachtendes Aufnehmen der Jungen in das väterliche Maul ließ auch eine Fütterung irgendwie auf diese Weise vermuten.

Bei den Ch. orientalis ohne Bauchflossen fiel oft ein sehr enger und intensiver Körperkontakt der Jungfische mit den Eltern auf, vor allem mit dem Muttertier, was mich zunächst auch an einen Fütterungsmodus etwa nach Art von Symphysodon discus denken ließ. Zweimal konnte ich dann allerdings eine Fütterung durch den Mutterfisch beobachten, worüber ich fast nicht zu berichten wage, denn es muß einfach wie Aquarianer-Latein klingen: Nachdem mehrere Jungfische wieder einmal in engem Körperkontakt quasi an ihrer Mutter klebten, führte die plötzlich eine schnelle kreisende Schwimmbewegung aus und stieß dabei eine Wolke von Laichkörnern aus. Diese Eier waren im Gegensatz zu jenen, die beim Fortpflanzungsakt ausgestoßen werden schwerer als Wasser. Sie sanken rasch zu Bode während sich die Jungfische wie wild auf sie stürz ten. Die Stelle im Aquarium, wo ein Teil dieser Eier niederging, wurde von den Jungfischen noch länger intensiv nach restlichen Laichkörnern abgesucht.

Sollten diese Beobachtungen nicht einem Zufalls verhalten meiner Fische entsprechen, wäre das ja wohl wieder eine ichthyologische Novität, eine bisher unbekannte Verhaltensweise. Jedenfalls ist nicht bekannt, daß irgendwelche Fische ihre Nachkommen mit eigenem Laich ernähren. 3 Eine elegante Methode wäre es für diese rheophilen Tiere allerdings, denn Ch. orientalis kommt nach meinen Beobachtungen in Ceylon und Thailand nur in relativ stark strömenden Bächen des Hügel- und Bergland des vor, quasi in der «Forellenregion des tropischen Asiens». In solchem Biotop dürfte die Ernährung eines Jungfischschwarmes auch nicht einfach sein. Darüber hinaus scheinen die Ch. orientalis ohne Bauchflossen , bei denen ich diesen Fütterungsmodus bisher nur beobachten konnte, in der Natur noch stärker strömende Bachabschnitte zu bevorzugen als die Stammform.

Im Aquarium sind jüngere Exemplare gut mit anderen Fischen zu vergesellschaften. Die Ch. orientalis ohne Bauchflossen sind offensichtlich weniger starke Räuber als ihre Namensvettem und leben in den heimischen Gewässern wahrscheinlich hauptsächlich von Süßwassergarnelen und Anflugnahrung. Sie sind auch mit kleineren Fischen gemeinsam haltbar. Nach Erreichen der Geschlechtsreife gehen beide Varianten feste Paarbindungen ein. Sie greifen dann allerdings alles an, was sich außer ihnen und ihrem Nachwuchs im Aquarium bewegt.

Das Verbreitungsgebiet von Ch. orientalis in Asien ist groß: von Pakistan im Westen bis China und Borneo im Osten. Der weiten Verbreitung entsprechend variiert diese Art wahrscheinlich stark sowohl in ihrer Färbung als auch in der Größe. Ihr Erscheinungsbild ist also wohl relativ polytypisch. Trotzdem ähneln aber die Fische mit Bauchflossen aus Ceylon denen aus Thailand, abgesehen von Nuancen in der Färbung, weitgehend, während sich die beiden Spie!arten der Insel Sri Lanka schon in den Körperproportionen deutlich unterscheiden. Die Variante ohne Bauchflossen besitzt gegenüber ihren Namensvettern beispielsweise einen deutlich weniger massigen Kopf und kleinere Brustflossen.

Ch. orientalis ohne Bauchflossen kommen nur auf der Insel Ceylon vor. Neben ihnen besitzt als einzige weitere Schlangenkopffischart die in Südchina vorkommende Channa asiatica (Linne, 1758) ebenfalls keine Bauchflossen. Früher wurden die Schlangenkopffische in die Gattungen Channa (für Fische ohne Bauchflossen) und Ophicephalus (für Tiere mit Bauchflossen) eingeteilt. Seit Untersuchungen von Myers und Shapovalov (1932) soll diese Einteilung nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Die auf der Insel Sri Lanka teilweise sympatrisch vorkommenden, in ihrem äußeren Erscheinungsbild deutlich verschiedenen und auch in ihrem Gesamtverhaltensspektrum ganz offensichtlich unterschiedlichen Fische laufen seither unter ein und derselben Artbezeichnung. Die Tiere ohne Bauchflossen gelten, nicht einmal als namentlich gekennzeichnete Unterart. Wenn man dagegen beispielsweise die zum Teil ausufernde Namensvielfalt ostafrikanischer Cichliden oder afrikanischer Killies betrachtet, wo schon Farbvarianten Anlaß zu immer neuer Namensgebung sind, dann dürfte eine taxonomische Revision bei Ch. orientalis wirklich angezeigt sein.

Footnotes

1 Herr Ettrich spricht in diesem Falle von Channa gachua (Hamilton-Buchanan, 1822) , denn wie er in einem späteren Artikel selber schreibt, sind dies zwei gute Arten, von denen C orientalis eine endemische Species ist. [snakeheads.org] Back

2 Der wissenschaftliche Name der Variante mit Bauchflossen ist Channa gachua (Hamilton-Buchanan, 1822) und der der Varianten ohne Bauchflossen ist Channa orientalis (Bloch & Schneider, 1801) . Wir werden im weiteren Text die originalsprachlichen Ausdrücke Ettrichs verwenden, aber als Hyperlinks zu den Erstbeschreibungen zu den Fischen C. gacha und C. orientalis. [snakeheads.org] Back

3 Gut, dass Dr. Ettrich dieses berichtet hat. Es ist kein Angler-Latein. Inzwischen hat sich dieses nicht nur bei Schlangenkopffischen bewahrheitet. Insbesondere bei kleinen Schlangenkopffischarten hat sich dies gezeigt: C. gachua, C. bleheri , C. sp. Assam und kürzlich im Jahre 2003 bei zwei weiteren unbeschriebenen Arten aus Assam. [snakeheads.org] Back

Acknowledgement and Source(s)

This text was originally published under the above title in: DATZ. vol. 39, no.7, pp.289-293, 1986 . The author has granted snakeheads.org the right to publish it on the org's site. The copyright of text and photos is still with the author/photographer in full amount.

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